Le Mans, 24 heures apres
1970/1974
Der Film Le Mans(1) beginnt mit
dem Bild einer Landstraße. In einer Ideallandschaft, französisch, impressionistisch,
schwillt ein Motorengeräusch an und wieder ab. Mit dem Teleobjektiv zusammengestauchte
Hügel werfen einen Porsche 911 aus, der sanft über die Landschaft fährt.
Schrägstehende Sonne. Eine Rückblende, ein Unfall, Feuer, Zeitlupe. Und
dann sehen wir das Gesicht Steve McQueens lange, eigentlich viel zu lange,
auf eine Stelle am Straßenrand starren. Unbeweglich, in Nahaufnahme, in
den zu hellen Augen einen unergründlichen Ausdruck. Ein Gesicht. Das Bild
eines Gesichts in Großaufnahme. Wir sehen dieses Gesicht. Es verharrt
reglos, einen indifferenten Ausdruck von Schmerz und Verbitterung tragend.
In den Rückblenden sehen wir den Tod des Konkurrenten, des Rennfahrerkollegens.
Einen Tod in einem Kleid aus Metall und Kunststoff. Mit dem ersten Auftauchen
im Film koppelt sich das Gesicht McQueens an die Maschine, so wie im ganzen
Film Körper und Maschine distinkte Beziehungen eingehen, in Fakt die einzigen
Beziehungen, welche die Protagonisten haben werden. Steve McQueens steingewordenes
Gesicht verschmilzt in diesem Augenblick mit dem alles verschlingenden
Parcours des Rundkurses. Später wird das Unbestimmte des Gesichts geklärt:
Wenn die Schuld (denn es wird deutlich, dass McQueen die Schuld trägt
am Tod seines Kollegen)und das Begehren (für die Frau des Getöteten) sich
in diesem Gesicht mischen, taucht ein Anflug von Lächeln auf. Ein kleiner
Riss in dem von einem metallenen Rahmen überbauten Panzer aus Eis.
Ich hatte diesen Film vor langer Zeit einmal
gesehen, noch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, und besaß auch die
Rennwagen als Matchbox-Autos, als Streichholzschachtel-Autos wie später
die Übersetzungslust diese Modelle bezeichnete. Ein silberner Ford war
wohl das Lieblingsauto, damals, er besaß eine windschnittige Form und
war mit Werbung von Herstellern von Motorenöl verziert. In dieser unschuldigen
Zeit, die meine Erinnerung hier anzeigt, waren es noch keine Zigaretten-
oder Textilfirmen, die die Rennwagen mit ihrer Heraldik den Fürstenhäusern
des Kapitals zurechneten. Ein Porsche war keiner darunter, in meiner Sammlung,
zumindest kein Le- Mans-Porsche, kein 917. Nur ein kleiner 911 mit dem
Nachteil, dass er grün und weiß lackiert die Aufschrift ÈPolizeiÇ trug.
Ein Wagen der Autobahnpolizei, wie ein Schulfreund bemerkte. Ich versuchte
mir dann auch vorzustellen, was denn die Autobahnpolizei eigentlich machte,
und auf Autobahnfahrten hielt ich lange Stunden Ausschau nach einem dieser
Fahrzeuge. Irgendwann gab ich dann auf und mochte den Autobahnpolizeiporsche
nicht mehr so richtig. Ich hielt ihn für eine Erfindung oder eine uninteressante
Ausnahme (im Fernsehen gab es auch nie einen zu sehen). Steve McQueen
auf jeden Fall war der ungeteilte Held dieser Jugend, nur noch übertroffen
in Glanz und Begehrenswertigkeit durch Emma Peel, die in ihren Catsuits
in "Mit Schirm, Charme und Melone" eigenartige Gefühle einer
Vorfreude auf ein charmantes Leben produzierte und hier völlig zu Unrecht
in einem Zusammenhang mit Steve McQueen erwähnt wird. Verlassen wir also
diese Abschweifung und kommen auf Steve McQueen zurück.
Mein Vater trug auch ab und zu, sonntags oder
auf langen Fahrten, diese von kreisrunden Löchern durchstoßenen Handschuhe,
die zum Fahren von schnellen Autos damals wohl unabdingbar waren. Und
die gleiche hellbraune Wildlederjacke zu diesem skeptischen Lächeln, das
wohl Verführung suggerieren sollte. Da ich nie mit meiner Mutter und mit
meinem Vater gemeinsam Auto fuhr (sie lebten getrennt), konnte ich auch
nie die Wirkung dieses wohl direkt bei Steve McQueen abgeschauten Lächelns
auf meine Mutter herausfinden. Nach einigen dieser Autofahrten nahm ich
aber an, dass ich wohl das direkte Resultat dieses mir unergründlichen
Lächelns war. Das Lächeln des Fahrers, nicht eigentlich glücklich, eher
gefasst und konzentriert auf das Bedienen einer Maschine gerichtet, gehörte
irgendwie in das Reich der durchlöcherten Handschuhe und der Wildlederjacke
und dem etwas zu schnellen Fahren. Das Lächeln meines Vaters, das so dem
von Steve McQueen glich, war in der Vorstellungswelt meines achtjährigen
Ichs ein wesentlicher Schlüssel zum Geheimnis meiner Existenz und Steve
McQueen ein Kronzeuge meiner Herkunft. Ich ergatterte ein Plakat, auf
dem Steve McQueen zu sehen war Ñ die genauen Umstände der Inbesitznahme
dieses Schatzes sind mir leider entfallen. Wohl ein Tausch eines Schulfreundes,
der sicher teuer bezahlt wurde, mit Paninibildchen in erschreckend großer
Zahl oder etwas Ähnlichem. Die Bilder des Films Le Mans, der einmal im
Fernsehen lief (wir besaßen bis in die frühen 8oer nur einen Schwarzweißfernseher)
waren treue Begleiter und eigenartigerweise Ñ trotz des erwähnten Schwarzweißfernsehers
Ñ in der Vorstellung immer tonig in Braun- und Grüntönen gehalten.
Nun, beim Wiedersehen des Films, sehe ich, dass die Farben, diese semidokumentarische
Duftigkeit des Kodachromefilms, in ihrer Körnigkeit exakt den Bildern
entsprechen, die ich im Alter von acht Jahren in meinem Kopf spazieren
führte und mir zumindest teilweise meine Anwesenheit erklärten.
Geschicklichkeitsspiele
Dass der Tod in einem Autorennen immer mitfährt, förmlich Platz nimmt
auf dem Beifahrersitz, gehört zum Standardrepertoire des Mythos des Rennens.
In dieser Herausforderung, im Geschicklichkeitsspiel des Fahrers, der
einen Pakt mit dem Tod abschließt, um als Überlebender aus dem Rennen
zu gehen, ist die Frage nach dem spezifischen Ort des Todes wesentlich.
Keinesfalls auf dem Beifahrersitz nimmt dieser Platz. Vielmehr nistet
er sich ein im Blick des Piloten, in die spezifisch justierte Wahrnehmung
des Fahrers. Das eingeschränkte Gesichtsfeld des Rennfahrers mit seinem
Tunnelblick fixiert den Blick des Rennfahrers auf einen imaginären Fokus
jenseits des Kurses, im unendlichen Schnittpunkt der Geraden der Strecke.
Der metaphysische Fluchtpunkt dieser unendlichen Geraden, die vor ihm
liegt, ist sein Tod und sichert gleichzeitig sein Überleben. Der Tod des
Rennfahrers liegt immer vor ihm, zusammengezogen auf diesem unendlich
kleinen Punkt, welcher der Fokus (Fokalpunkt) seines Gesichtsfeldes ist.
Immer hineinfahren in den Tod. Das ist das Paradox des Rennfahrens: Dass
dieser unendlich kleine Punkt am Ende seiner Wahrnehmung eigentlich das
Leben ist. Jedes Abweichen davon bedeutet den Tod. Sobald der Blick von
der Ideallinie abweicht, sobald er flackert, ausweicht und zu lang auf
Details der an ihm vorbeirasenden Welt verharrt, ist der Pakt des Fahrens
unterbrochen: Der Fahrer muss sich zu einer unendlichen Fluchtlinie machen,
sich und seine Wahrnehmung in diesen zentralperspektivischen Schnittpunkt
richten, um überhaupt zu fahren. Der Bruch mit dieser Wahrnehmungslogik
bedeutet den Tod oder zumindest das Aus für den Rennfahrer. In einer Szene
aus Le Mans wird das sehr deutlich: Als Steve McQueen an einem spektakulären
Unfall vorbeifährt, wird seine nach vorne gerichtete Aufmerksamkeit abgelenkt.
Eine Verwunderung tritt in seine Augen, als er an diesem verendeten Tier
vorbeifährt, das vor einer Sekunde noch aussah wie ein Rennwagen. An diesem
dicken, klebrigen Feuerbrei des Rennwagens seines Konkurrenten. Er ist
nicht Èbei der SacheÇ, man sieht, wie das Band sich verliert, der Pakt
des "immer geradeaus" sich für eine Zehntelsekunde auflöst.
Er bemerkt den vor ihm fahrenden Wagen nicht (er fährt zu schnell), und
sein Wagen schießt in die Leitplanke. Auch wenn Steve McQueens Tod hier
nicht zur Debatte steht (er ist schließlich die Hauptfigur des Films),
so wird sein Rennwagen der zerreißenden Prozedur des plötzlichen Abbremsens
an der Leitplanke ausgesetzt. Der Wagen knautscht und häutet sich in Zeitlupe,
stellvertretend für den Tod durch Abweichung von der Ideallinie.
Hier verkoppelt sich die Wahrnehmungslogik der Rennfahrer mit einer Apparatetheorie,
gleichen sich Blick des Rennfahrers und Kamerablick einander an. Überspitzt
könnte man behaupten, dass die Rennstrecke eine Art umgekehrter Camera
Obscura ist: Die Welt wird durch den Pakt mit dem unendlichen Fluchtpunkt
zu einem zentralperspektivischen Ort, an dem sich das Bild von ihr auf
der Windschutzscheibe zentralperspektivisch abbildet. Die Windschutzscheibe
bildet quasi den Screen zur Welt, die Windschutzscheibe markiert den Übergang
in eine Welt, die nur noch Wahrnehmung ist. Der Pilot, in einer Sitzschale
eingefasst wie ein Negativ in einer Kamera und an das Gerät angepasst,
wird zu einem sensorischem Durchgangsapparat, zu einer dunklen Kammer.
Jeder von uns, der einmal vor einer Spielkonsole saß und eine Rennsimulation
spielte, hat diese Erfahrung gemacht: Der Deckungspunkt des Blicks ist
ein Punkt jenseits der Rennstrecke, der Erfolg des Fahrens hängt von dem
Spurhalten des Blicks ab, von dem Kameragleich-Werden des Auges. Und dank
der digitalen Wiederholungsmaschinen, der Konsolen und PC-Spiele kann
nun jeder in den sublimen Genuss der Überspitzung dieser grundlegenden
Erfahrung kommen, die konstitutiv für eine der Bedingungen der modernen
Welt ist: der Koppelung von (Welt-) Wahrnehmung an Apparate.
Neben dem allgemeinen phänomenologischen Aspekten
des Apparates Rennwagen/Fahrer spielt die Zeit bei den 24 Stunden von
Le Mans eine enorm wichtige Rolle. Dies ist nicht irgendein Rennen, das
über eine gewisse Distanz geht, über 40 Runden etwa, und diese in vielleicht
zwei Stunden bewältigt. Dieses Rennen geht einfach 24 Stunden lang, und
derjenige, der in dieser Zeit die meisten Runden gefahren hat, gewinnt.
Der Rennfahrer passiert in dem durchgefahrenen Tag den Raum in einer Zeit
und verschnürt damit das physikalische Raum-Zeit Kontinuum zu einer nicht
nur psychologischen Entität. Die Zahl der Runden, der durchmessene Raum
(in einer unendlichen Wiederholung des Rundkurses) ist das Maß des Gewinns.
Nicht die Zeit, sondern der Raum gibt den Ausschlag zum Sieg des Fahrers.
Der Idee der Gleichförmigkeit (des Rundkurses) ist die herausragende Rolle
des Piloten gegenübergestellt. Im potenziellen Tod aber sind sich alle
wieder gleich. Hier fungiert die Ausdauer, die ewige Wiederholung als
einendes, genau wie dem Tod eigent-lich nicht getrotzt oder davongefahren
wird (wie das ein populärer Mythos vermutet), sondern indem der Tod umarmt
wird und die Schwelle (zwischen Leben und Tod) durch ein trotziges Im-Kreis-Fahren
zu einer unendlichen Geraden gedehnt wird, gewinnt dieses Auf-der-Schwelle-Stehen
den Charakter eines ewigen Lebens.
Die schrill jammernden Motoren in ihrem Sich-Verbrennen
sprechen nur davon: Es gibt hier keinen Unterschied zwischen Leben und
Tod. Indem wir eure lächerliche Wiederkehr des Tages und der Nacht in
rasenden Umrundungen wiederholen, bezeugen wir unseren Unglauben in die
Existenz jener Grenze. Die Nacht des Todes nach dem Tag des Lebens existiert
für uns nicht.
So ist die Nacht des Films nicht nur eine Metapher, sondern auch eine
Realität. Hier geht es darum, den unendlichen Fokus zu parallelisieren,
den Scheinwerfern anzupassen, den Blick ins Unendliche an den ins Jenseits
gerichteten Lichtfingern der Scheinwerfer auszurichten, sich an sie anzuschmiegen.
In der Nacht wird das existenzielle Drama des Fahrers zu einem reinen
Licht- und Körperspiel. Die Reduktion der sensorischen Wahrnehmung präzisiert
und verschärft die Fluchtlinien, die über Leben und Tod, Sieg oder Niederlage
entscheiden. Die Scheinwerfer tastend in die Nacht gerichtet, fahren die
Wagen Runde um Runde ziehend ihre Kreise. Die Reduktion der sensorischen
Wahrnehmung präzisiert und verschärft die lineare Ausrichtung der Wahrnehmung,
der Körper wird förmlich zu seinem eigenen Fluchtpunkt.
Der Sitzschale exakt angepasst, ist der Fahrer ganz Licht, ganz Linie,
idealerweise Form. Ein Aufgehen des Fahrers in einer ekstatischen Form
hat schon Marinettis erstes Futuristische Manifest beschrieben: "Ich
streckte mich in meinem Wagen wie ein Leichnam in der Bahre aus..."
Beim zeitgenössischen Autorennen ist hiervon nichts mehr geblieben. Nicht
die futuristischen Morbiditätsphantasmen haben sich hier verwirklicht,
hier regiert die nüchterne Monotonie des industriellen Zeitalters. Insofern
ist das Formalisieren des Fahrers als ein ganz der Lineatur hingegebenes
auch nicht dem Bild des Leichnams, des Toten auf Urlaub, angepasst (auch
wenn die weiße Schutzkleidung das suggeriert). Nein, alles deutet darauf
hin, dass der Rennfahrer ein Arzt der Linie ist, ein sich wie ein Arzt
in der Therapie der Ideallinie annähernder Wissender. Nicht eigentlich
ein Ingenieur, sondern ein Sucher nach den Selbstheilungskräften einer
durchmaschinisierten Welt.
Nacht/Film/Raum
Das Medium Film ist, verglichen mit neueren Technologien wie dem Video,
ein konservatives, altmodisches Medium, die Zeit wird hier "analogÇ"
auf ein Band aufgereiht und damit quasi verräumlicht. Der Film ist ein
linearer Zeitspeicher, in dem die Zeit in einer Wörtlichnahme aufgewickelte,
verräumlichte Zeit geworden ist.
Der aufgewickelte, wenn man so will, verzeitlichte Raum des kinematografischen
Films ist für uns auch aus einem anderen Gesichtspunkt interessant, markiert
doch eine fortgesetzte Lineatur den Raum auf dem Film, ist der Raum im
Film mittels Linien aus Licht auf die Haut des Films aufgetragen, hineingezeichnet.
Analog dazu können wir die aufgezeichneten Lichtfinger der vorbeiziehenden
Sportwagen als einen Transfer lesen. Abgepaust und gebannt zeigen sie
ein Bild von sich wie auch ein Bild des Mediums, auf das sie aufgebracht
wurden. Verschlungen kreuzen sich hier die Pfade, die Linien der Einschreibung
und der optischen Sensationen.
Die existenzielle Nacht wohnt hier. Die existenzielle Nacht wird hier
gebannt und gezeigt. Das Dröhnen der Motoren, gekoppelt mit dem spezifischen
Zeitrasseln des Projektors in der Arbeit von Andreas Wutz, spricht genau
hiervon: Lineaturen, Wiederholungen, Kreisbahnen, Figuren, die der Fahrer
zu einer Linie zusammenzwingt. Die konstituierende Figur der Moderne:
Die Geraden der Eroberung, der Entwicklung, sind zu wiederkehrenden Rundkursen
geworden, zu Linien, die sich im Unendlichen schneiden und sich elliptisch
zur unendlichen Wiederholung zusammenfügen.
Bei einem Telefongespräch mit Andreas Wutz
erwähnte der Künstler die Nacht des Charles Lindbergh. In der 33. Stunde2
des ersten Non-Stop- Atlantikflugs, eine Stunde vor dem Anbruch der Dämmerung,
erfährt Lindbergh den Kitzel der Dauer. In sein Tagebuch notiert er, förmlich
einen Fuß auf dem europäischen Kontinent, das Ziel vor Augen, er könne
nun endlos so weiterfliegen, einfach geradeaus, ohne je anzukommen. Das
Ziel, die Mission, ist nun, nur noch acht Stunden vom Ziel entfernt, so
weit wie noch nie, nämlich völlig bedeutungslos. Lindbergh ist endlich
angekommen. Er ist angekommen in der Welt der Lineatur, er ist zu diesem
Bündel aus Linien und Licht geworden im Bauch der Maschine, die immer
nur "Vorwärts" schreit. Er ist noch nicht auf einem Rundkurs,
noch nicht an einem FordÕschen Fließband aufgereiht.
Charles Lindbergh ist die zentrale Übergangsfigur,
der letzte Abenteurer des vorindustriellen Zeitalters. Alles danach sollte
sich messen lassen können: Die Geschwindigkeitsrekorde bis zur Durchquerung
der Schallmauer machen das am deutlichsten, wie auch das Im-Kreis-Fahren
der Rennfahrer-Piloten. (Wahrscheinlich berührt uns die eigenartig unverhältnismäßige
Anstrengung des Flugs zum Mond genau dort, wo sie am anachronistischsten
ist: in ihrer zielgerichteten Zwecklosigkeit, in ihrer Ökonomie der Verschwendung.
Und genau deswegen wird im gleichen Atemzug mit den Mondmissionen der
Nasa auch auf die "Nebenprodukte", vorzugsweise die profane
Teflonpfanne, hingewiesen.)
Rewind 1974
Mein Vater fuhr nie Rennen. Aber er liebte die Sportwagen. Ein Foto von
McQueen steht auf meinem Schreibtisch. Ich blicke es an und finde keine
Ähnlichkeit mit meinem Vater darin. Könnte es sein, dass sich mein Gedächtnis
ähnlich verhalten hat wie die optische Einschreibung der Scheinwerfer
auf dem Film? Dass sich eine Vorstellung einschrieb in mein Gedächtnis,
sehr vage, sehr undeutlich, aber existent, eine Verkennung, die meine
reale Erinnerung an meinen Vater überschrieb mit der rundendrehenden Wiederkehrerfigur
des Rennfahrers, dargestellt von Steve McQueen in Le Mans? Der Rundkurs
als freiwillige Verkennung versucht ein Bild zu erzeugen, das mit einem
kollektiven Gedächtnis zu tun hat. Als ich diesen Text begann, war es
überraschend zu sehen, wie genau und unmittelbar die Erinnerung griff
und wie präzise sich die Bilder vor mich schoben. Wie Steve McQueen dieser
Ausweis meiner Kindheit wurde, einer Kindheit in den Siebzigern. Auch
das hat zu tun mit dem treibenden Vorwärts des Films und des Genres. Nicht
ich allein bin adressiert, das würde bedeuten, den persönlichen Teil dieses
Textes allzu wörtlich zu nehmen. Die existenziellen Fragen, von denen
einige hier vage gestreift wurden, zirkulieren in ihrer eigenen Räumlichkeit
und heften sich gerne an Rundkurse. Wessen kollektiver Vater Steve McQueen
ist oder sein könnte, bleibt bei diesem archetypischen Junggesellen sowieso
zweifelhaft.
1 Le Mans, Lee H. Katzin, Farbe, 108 min.,
F/USA 1970/71
2 s.a. The Spirit of Charles Lindbergh, Orson Welles, 35mm, Farbe, 3 min.,
1984, Restaurierung 2000, Filmmuseum München. Ein filmischer Brief, den
Welles zum Geburtstag eines Freundes verfasste. Er rezitiert darin eine
Passage aus Lindberghs Aufzeichungen zur 33. Stunde seines Atlantikflugs.
Es ist die letzte Aufnahme vor Welles' Tod.
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