Michael Schultze
   
   
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Kapitalismus, Melancholie und Skulptur

1.
Somewhat around 1871: Die Objekte, die Dinge, fangen an fremdbeherscht zu erscheinen, ihre Geteiltheit liegt unmittelbar verborgen in der Art ihrer Produktion. Seit Beginn der Industrialisierung markiert sich das bürgerliche Problem in der Schwierigkeit mit dem Objekt, der massenhaften Reproduktion von Waren. Das einzelne, händisch hergestellte Ding ist nun entweder in den Niederungen der bäuerlich-manufakturierten Ebene angesiedelt, oder aber als rares Luxusgut dem seltenen Genuss preisgegeben. Der Kapitalismus hat es seit jeher gut verstanden die Dinge zu teilen, in niedere, originäre, vielfältige. Jedem davon ist ein eigener Wert zugemessen. Jedem dazu ein Gebrauch bestimmt, eine eigene Form des Genusses, der Benutzbarkeit im Rahmen des Wertes.
2.
Über Brancusi nachzudenken heute heißt sich klar zu werden über den fetischistisch aufgeladenen Wert der bäuerlichen Herkunft (des Künstlers, der Formensprache). Damit auch über den Wert des Schweißes, den die Form in sich gespeichert hat.
3.
Die nachfordistische Lösung: der Wert der Dinge liegt nicht so sehr in ihrem Produktivwert sondern eher in ihrem libidinösen Nutzwert. Das neoliberale postfordistische Subjekt, (d.h. wir Alle) nutzt die immer schon (quasi natürlich) flüssigen Waren mit Ihrem korrodierten Wert um ihnen neue Wertbestimmungen zukommen zu lassen. In den zweihundert Jahren akumulativer Produktion ist selbst der originale Tauschwert soweit verschlissen, das die Dinge, die einstmals Waren gewesen sind, nun einen Status von quasi natürlichen Objekten bekommen haben. Die den Verkehr der Waren regelnden Prinzipien der Produktionsökonomie sind, in vielen Bereichen der Warendistribution zu einer Begehrensökonomie geworden.
4.
Am deutlichsten wird das bei Produkten wie z.B. T-Shirts, die, unabhängig von ihrer Qualität oder ihrem Fertigungsort (der sowieso in Südostasien liegt) nur anhand des Aufdrucks von Pfennigprodukten zu halbe Monatslöhne kostenden Objekten des Luxus und der Distinktion werden können.
5.
Melancholie, Ausdruck des Wissens um einen Verlust
Denn was ist denn Melancholie nun? Es gibt da die Süße und die Bittere, wie bei den Schokoladen.
6.
Man liebt um sich an etwas zu erinnern.
Ein guter Zeitpunkt zu gehen. Ein guter Zeitpunkt zum Auswandern.
7.
Worin besteht der Gegensatz von proletarischer Sentimentalität und bürgerlicher Melancholie?
8.
Das Gegenteil von Melancholie: Sexy Todesverachtung. Denn Melancholie ist der Feind.
9.
Gelassen trage ich die Form hier ein, gelassen umgehe ich die Verbote der Zunft. Gelassen finde ich eine Sprache in der wir sprechen können.
10.
Die Ware, das Ding , ist immer schon verloren, im Wert dem Mehrwert preisgegeben.
Die Skulptur dagegen ist das Rettend-Bewahrende, ein Monument der Stillstellung. (des Werts, des Unflüssigen ??)
11.
I rather look ugly than as normal as I look now.
12.
Now, jetzt, das große Gegenüber der Melancholie. Die ausgeweideten Reste der schlafenden Gefühle des zornigen 20. Jahrhunderts retten sich in das jetzt. Now is all we have, singen die Flaming Lips. Die Melancholie, die in der frühen Moderne ihre dunklen Blüten trieb, fristet ein Schattenreiches Dasein.
Birgt Melancholie überhaupt ein Potenzial für Dinge wie Dissidenz? Melancholie neigt an sich zum Rückzug, zu Passivität, zu einer Innerlichkeit, die nur ihre eigene Welt zu kennen vorgibt.
Die Weltabgewandtheit aber als Zeichen und Ausdruck eines radikalen Zweifels zu verstehen, als ein blindes Nein in die simulierten Freizeitphantasmen hinein, könnte die Melancholie als Waffe schärfen.
13.
Die Figur des Bourgeois, der ein gespaltenes Verhältnis zu den Dingen pflegt, ist zu verführerisch um sie nicht zu benutzen. Nicht mehr Produzent der Dinge, verdammt dazu, ein immer ökonomisches Verhältnis zu ihnen zu haben, sie zu genießen in diesem Verhältnis, diesen (ihren) Genuss wieder in ein ökonomisches Verhältnis zu setzen: das ist der Kern der bürgerlichen Ideologie. Und dieses hegemoniale Modell durchzieht weiter unser Verhältnis zu den uns umgebenden Objekten.
14.
Und: ist die obsessive Verhaftetheit mit Bildern der Jugend nicht originaler Ausdruck eines melancholischen Weltzugriffs?
Es scheint zwei Formen von Jugend zu geben: zum einen die Bestimmung als eine aktive, den ökonomische Gesetzen gehorchende Verfügungsmasse im Spätkapitalismus. Als verborgene Größe gebiert Jugend aber auch einen Zweifel an der Konsistenz der Dinge und ihrer Ordnungen.
Das Jetzt steht hier zur Disposition: in der Melancholie wird das Jetzt stillgestellt, es ist nicht mehr verwertbar im grossen Fortschreiben der Gegenwart als einem jetzt! das mit Ausrufezeichen versehen zum Beweger der Gegenwart wird. Vielmehr spielt die melancholie mit dem innehalten der Gegenwart ein raffiniertes Spiel Ð zumindest wenn es um die Jugend geht Ð von einer sich aus dem Kapitalfluss herausgeschälten Zeitgenossenschaft.
15.
Red eyes and tears, keine Gegenwart zu besitzen, aus dem Jetzt austreten in eine projektive Vergangenheit, in der die Zukunft nicht mehr herrscht. (genauso wenig wie in der Krisenrethorik des neoliberalen Kapitalismus)
16.
Hatte der historische Kapitalismus noch die Ökonomisierung der Welt zum Ziel und zur Aufgabe (wie man aus allem den Mehrwert herauskitzelt), so herrscht in melancholischen postfordistischen Zukünften eine antiökonomische Verschwendungssehnsucht. Die Janusköpfigkeit des Kapitalismus und seiner libidinösen Wucherungen immer vor Augen - seine Größe und Verführungskraft - scheint uns die Melancholie kein historischer Rückschritt, kein privates Einknicken, sondern eine Möglichkeit die Totalisierung der Zeit im jetzt zu brechen und das Postulat der Gegenwart (einer Gegenwart des Spektakels, einer Gegenwart des vereisten Begehrens) zu durchlöchern. Die sprichwörtliche Unproduktivität des Melancholikers koppelt sich hier an das Negieren der Gegenwart.
17.
Robert Smithons stärkste Arbeiten z.B. sind durch und durch melancholisch, sie verweigern die Gegenwart, sie sperren sich jeder Ökonomie (indem sie zu groß, zu aufwendig, zu vergänglich etc... sind), sie sind von einer skelettösen Naturgeschichte durchdrungen und beharren auf einer Gegenwart, die zwar ein jetzt, aber keinerlei Flüchtigkeit kennt.
Wenn Smithsohn Klebstoff und Lack Mülldeponien heruntersinnen lässt, ist dieser Akt ein durch und durch melancholischer.
Hier wird die Sache spannend: schlägt man sich auf die Seite des Objekts gerät man in die Paradoxien des Bourgeois (in Ermangelung eines präziseren Begriffs), der in diesem fatalen Bezug zu den entfremdeten (Waren-)Objekt steht, das Objekt, die Spiral Jetty, z.B., oder Partially Burried, als verlorenes Objekt sieht, es im nachhinein fetischisiert, sentimental auflädt. Gerade weil es verloren ist besitzt es einen ungeheuren reiz. Schlägt man sich auf Smithsohns Seite, mit der Brüchigkeit, der Projekthaftigkeit, ist man sofort beim neoliberalen Subjekt.
(das moderne Subjekt war durch und durch antimelancholisch, nach vorne sehen die Devise. Im Jetzt stehen. Das nachmoderne Subjekt kokettiert damit noch, weiß aber das es verloren ist, das die Unschuld eines Aufbruchs, all der Übertretungen, all der Spiele des Jetzts sich eigentlich nur noch sentimental abbilden, irgendwo auf einer Leinwand in einem Kino, in einem dunklen Raum, im Nachhall des Herzens vielleicht noch.)
nichts müsste also trauriger sein als das Auftauchen der Spiral Jetty, korallenübersät und in der Sonne funkelnd.
Ein Zeitloch.